Dr. Michael Winterhoffs Bestseller „SOS Kinderseele“ bringt Denkstoff. Er kritisiert viele „fortschrittliche“ Erziehungsmethoden – man überfordere sein Kind heutzutage, was der Grund für viele kindliche „Zivilisationskrankheiten“ sei. Auf Schloss Puchberg hat Dr. Winterhoff im Januar ein Referat über sein Buch gehalten. Hier sechs der wichtigsten Inhalte und Thesen.
„Man sollte Kinder nicht als Persönlichkeiten sehen“ – lautet die provokant harte These des Kinder- und Jugendpsychiaters Dr. Winterhoff. Ein Kinderkopf sei sozusagen in unbeschriebenes Blatt. Er könne viel Einfaches nicht verarbeiten und einordnen, wenn nicht durch die Umwelt einige Konturen vorgezeichnet würden. Die Entscheidungen, die Kinder treffen sollen, können sie noch gar nicht treffen. Weil sie noch zu wenig wissen, gelernt haben, die Strukturen noch nicht kennen. Mit so viel Verantwortung und Freiheit ist das Kind überfordert. Und können sich nicht gut entwickeln. Winterhoff führt einige, aus seiner Sicht, klassische Erziehungsfehler auf.
1. Der Wechselhaftigkeit der Welt entgegenwirken.
Wie soll ein Kind lernen, was und wer eine Kindergärtnerin ist, wenn es jeden Tag eine andere vor sich sieht? Durch Wiederholung ohne ständige Veränderung kann das Kind erst lernen. Diese Sicherheit muss gewährleistet sein. Ein gemeinsamer Tagesablauf ist wichtig, klare Zeiten und Abläufe, geben Orientierung. Die sollten Eltern, Erzieher und Lehrer bieten.
Sorgen Sie für Sicherheit, indem Bezugspersonen, Abläufe, Gruppe, Inhalte und Räume gleich bleiben. Veränderung heißt für das Kind oft Überforderung.
2. Strukturen und Maßgaben entlasten das Kind.
„Mein Kleiner kann sich in der Schule nicht konzentrieren“. Warum? Weil er nicht weiß, worauf. Heutzutage gibt es oft nicht einmal mehr Lehrer, sondern nur noch „Lernbegleiter“. Kinder sollen selbstständig entschieden, wann sie essen, spielen, lesen oder lernen – sich selbst viel beibringen. Winterhoff aber ist überzeugt, dass für Kinder eine Orientierung durch lehrerzentrierten Unterricht wichtig ist. Konstante Strukturen, an denen Kinder sich festhalten können, seien unverzichtbar. Durchdachter Lernaufbau statt Zettelwirtschaft, die überforderte, auf sich alleine gestellte, Kinder produzieren, sei der Schlüssel.
Wichtig ist also, einem Kind Anleitung zu geben. So früh in der Entwicklung ist es zu viel für ein Kind, alles selbst entscheiden zu können.
3. Streitvermeidung fördert Egoismus.
Eltern suchen in ihrem Sprössling oft Bestätigung, Anerkennung – aber dafür sollte nicht das Kind zuständig sein. Sie wollen von ihren Kindern geliebt werden und vermeiden deshalb Streitigkeiten, verwöhnen und sagen nicht „Nein“. Das Resultat laut dem Psychiater: Kinder werden Egoisten. An Lust und Spaß orientiert, ohne Verständnis für Grenzen. Es muss sich alles nach ihnen richten, Kompromisse kennen sie nicht.
Also: Konflikte austragen statt Harmonie erzwingen. Nicht alles kann nach dem Willen des Kleinen laufen. Er oder sie wird Sie deshalb nicht weniger lieben.
4. Bezugspersonen bringen Orientierung und Halt.
Reizüberflutung durch Fernsehen, noch dazu schnell wechselndes Programm. Das Babyhirn kommt da nicht hinterher. Aber das Fernseher und iPad nicht als Babysitter taugen, ist nichts Neues. Winterhoff macht vor allem auf die Relevanz von Bezugspersonen aufmerksam. Erwachsene fürhren heute oft ein schnelles und hektisches Leben. Wichtig ist, den eigenen Stress nicht auf seine Kinder zu übertragen. Denn Kinder schauen ab, und dann erklärt sich ganz leicht, warum es vielen jungen Schülern so schwer fällt, still zu sitzen oder sich lange auf eine Sache zu konzentrieren.
Versuchen Sie, ein gutes Vorbild für Ihr Kind zu sein – strahlen Sie Ruhe und Struktur aus. Beständigkeit hilft Kindern Ihre Verhaltensmuster zu erkennen und daraus für sich selbst zu lernen.
5. Das Kind muss Verantwortung übernehmen. Aber an den richtigen Stellen.
Die Dauerbeschwerde „Mein Kind ist schlecht in der Schule“, hört man von fast allen Elternteilen stetig. Aber warum eigentlich? Es herrscht heute eine Leistungsgesellschaft. Eltern stehen unter Druck und projizieren den auf Ihre Kinder, erklärt Winterhoff. Wenn das Kind in der Schule nicht gut abschneidet, dann glauben die Eltern, versagt zu haben. Gerne vermindert man dann das Schuldgefühl, indem inkompetente Lehrer und schlecht strukturierte Schulen verantwortlich gemacht werden. Das Kind lernt: Ich bin für meine schlechten Leistungen nicht selbst verantwortlich.
Deshalb: Mischen Sie sich nicht zu viel ein. Wenn das Kind einen Fehler macht, muss das Kind die Konsequenzen tragen. Nicht Sie, und auch nicht die Lehrer.
Unser Fazit: Winterhoff hat seinen Punkt. Erwachsene behandeln, das liegt im Trend, ihre Kinder als ebenbürtig. Das mag ein schöner Gedanke sein, was Respekt und die zwischenmenschliche Beziehung angeht. Aber es sind und bleiben Kinder, und das sollen sie auch sein. Sie haben viel zu entdecken und zu lernen. Auf dieser eigentlich nicht vorhandenen Grundlage Entscheidungen zu treffen, überfordert die Kleinen. Ohne Anleitung, Strukturen und Sicherheit können sie sich nicht richtig entwickeln. Das heißt ja nicht, dass ein Kind sich nicht in dem Rahmen, der ihm gesetzt wird, entfalten und verwirklichen kann.